Hier ist der Artikel, auf den der Rundbrief Bezug nimmt:
Badische Zeitung vom Dienstag, 12. Februar 2008
Kohle-Ausbaupläne im Papierkorb
Vor kurzem wollten die Stromkonzerne noch zahlreiche neue Kohlekraftwerke errichten / Jetzt werden die Planungen gestoppt
Von unserem Mitarbeiter Bernward Janzing
FREIBURG. Die Stromkonzerne kippen reihenweise ihre Neubaupläne. Ursachen sind vor allem die massiv gestiegenen Rohstoffpreise, aber auch Proteste an den Standorten. Binnen eines Jahres hat sich die Stimmung komplett gedreht.
Kaum ein Jahr ist es her, als in Deutschland eine Liste der Bundesnetzagentur kursierte, die einen massiven Neubau von Kohlekraftwerken erwarten ließ: 39 Steinkohle- und sechs Braunkohleanlagen mit einer Gesamtleistung von 44 000 Megawatt waren damals aufgeführt.
Doch die Zahlen sind längst Geschichte. Das Bundesumweltministerium geht inzwischen nur noch von neun Kohlekraftwerken aus, die in den nächsten Jahren gebaut werden. Das hat mehrere Gründe. Zum einen schlagen die Entwicklungen am Rohstoffmarkt voll durch. Baustoffe wie etwa Stahl sind massiv teurer geworden sind. Der Kraftwerksverband VGB Power-Tech in Essen beobachtet, dass die Stromkonzerne inzwischen lieber alte Kraftwerke länger in Betrieb belassen und dafür Neubauprojekte verschieben. Denn manche geplante Investition ist inzwischen schlicht unrentabel: „Der Preis der Anlagen ist in den vergangenen zwei Jahren um 60 Prozent gestiegen“ , sagt VGB-Ingenieur Hans-Joachim Meier. Mitunter war der Anstieg sogar noch stärker.
Zum Beispiel in Bielefeld: Die dortigen Stadtwerke rechneten vor zwei Jahren für ihr geplantes 100-Megawatt-Kohlekraftwerk noch mit Baukosten von knapp 110 Millionen Euro. Neuere Kalkulationen im vergangenen Sommer ergaben dann bereits einen Preis von mindestens 210 Millionen Euro. Daraufhin wurde das Projekt abgeblasen.
Auch der Emissionshandel
macht bald Kohlekraftwerke teurer
In den Preisen spiegelt sich auch die riesige Nachfrage nach Komponenten wider. Branchenkenner berichten, dass sich Turbinenbauer bereits die Abgabe von Angeboten teuer bezahlen lassen, weil ihre Fertigungskapazitäten wegen des großen Bedarfs auf dem Weltmarkt ohnehin erschöpft sind.
Außerdem setzt sich in der Energiewirtschaft zunehmend die Erkenntnis durch, dass sich Kohle in einem funktionierenden System des Emissionshandels nicht mehr rechnen wird und zwar sobald die Emissionsrechte nicht mehr vom Staat verschenkt werden.
Die EU beginnt in dieser Hinsicht Ernst zu machen mit der Folge, dass Projekte, deren Verträge noch nicht unterzeichnet sind, auf Eis gelegt werden. Die Konzerne nämlich wissen nur zu gut, dass eine Anlage, die 40 Jahre lang laufen soll, und pro erzeugter Kilowattstunde Strom bis zu 1140 Gramm Kohlendioxid freisetzt, angesichts einer immer strenger werdenden Klimaschutzpolitik eine hochriskante Investition ist.
Zudem gibt es im dicht besiedelten Deutschland kaum mehr Standorte für neue Kraftwerke, die von der Bevölkerung akzeptiert werden. An zahlreichen geplanten Standorten haben sich Initiativen gebildet, die zum Teil sehr erfolgreich agieren. In der saarländischen Gemeinde Ensdorf zum Beispiel wurde im November der Plan des Stromkonzerns RWE zum Bau eines 1600-Megawatt-Kohlekraftwerks per Bürgerentscheid verhindert. „Ein beeindruckender Sieg der Vernunft und der Demokratie“ , urteilte die Deutsche Umwelthilfe (DUH).
In Herne hat die Evonik-Tochter Steag den Bau eines Kohleblocks gestoppt, in Bremen hat die Swb AG den Rückzug angetreten, und in Köln die Rhein-Energie AG. Einige weitere Projekte stehen auf der Kippe. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos warnte kürzlich bereits vor Stromengpässen, weil zugleich in den nächsten 15 Jahren rund 21 000 Megawatt Atomkraft vom Netz gehen sollen.
Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine mögliche Alternative
Freunde des Ökostroms jedoch bleiben gelassen. „Seit 2004 ersetzt der Zubau erneuerbarer Energien in Deutschland jedes Jahr ein Atomkraftwerk“ , sagt Milan Nitzschke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Im Jahr 2007 nahm die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland sogar um fast 14 Milliarden Kilowattstunden zu, was der Erzeugung von anderthalb Atomkraftwerken entspricht. Bei etwa 140 Milliarden Kilowattstunden, die im vergangenen Jahr in Deutschland mittels Atomkraft erzeugt wurden, ließe sich bei unvermindert zügigem Ausbau der erneuerbaren Energien der Atomausstieg also binnen zehn Jahren kompensieren.